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Auf und nieder, immer wieder - (1975 bis 1982) Höhen und Tiefen prägten die folgenden Jahre. Und zwar auf allen Ebenen des Vereins: sportlich, organisatorisch, politisch und menschlich.

Sportlich ging es zunächst wieder bergauf mit Knallrot: Nach einer Saison in der drittklassigen Bezirksliga B reichte ein 6. Tabellenplatz in einer Staffel mit 15 Teams, um in der Saison 1975/76 wieder zweitklassig zu werden. 35 Punkte (nach der alten Zählweise) und 111:68 (!) Tore brachten uns in die zweigleisige A-Klasse. Über uns thronte nur noch eine eingleisige Stadtliga mit dem Abonnementsmeister SG Meisterkrug an der Spitze. Aber "unter" uns tummelten sich sechs B- und zwei C-Klassen, denn der VFF war inzwischen auf 11 Staffeln mit über 150 Vereinen angewachsen!

Im ersten Jahr zurück in der A-Klasse lief es nicht schlecht. Wir schlossen die Saison 75/76 auf Platz 7 mit 33 Punkten und 88:60 Toren ab. Das bedeutete den sicheren Klassenerhalt.

Über die folgende Saison 76/77 liegen leider beim VFF keine Aufzeichnungen mehr vor. Ganz offensichtlich verlief sie für uns wenig erfreulich, fielen wir doch wieder in die B-Klasse zurück. Leider gibt auch das knallrote Vereinsarchiv keine Auskunft über jenes schwarze Jahr für Knallrot, da alle Vereinsunterlagen einem ziemlich "spontan" verlaufenen Umzug des stellvertretenden Vorsitzenden zum Opfer fielen. Der private Terminkalender des verfassers weist für diese Saison 26 Spiele auf: 4 Siege, 5 Remis, 17 Niederlagen, bei 38 zu 110 Toren. Und nach dem letzten Spiel, einem 3:2 gegen BW Hansa, den Vermerk "Knallrot steigt ab". Anstelle einer Weihnachtsfeier 1997 besagt der Kalender übrigens "Krisentreffen Knallrot" ... (Von den damaligen Teams sind heute nur noch BW Hansa und WSU dabei ... gegen letztere gingen wir seinerzeit mit 3:9 und 1:10 unter...).

Dafür verlief die folgende Saison 77/78 deutlich besser: 31 Punkte und 57:44 Tore bedeuteten Platz 4 und den sofortigen Wiederaufstieg in die A-Klasse. An der Drittklassigkeit änderte sich dadurch aber nichts, da über den Stadtligen eine Oberliga eingerichtet wurde. Aber bei insgesamt fünf Spielklassen lagen wir zumindest in der goldenen Mitte.

Noch besser lief die Saison 78/79: 33 Punkte und 69:31 Tore bedeuteten Platz 3 und den Durchmarsch in die zweitklassige Stadtliga!

Dort behaupteten wir uns zwei Jahre im gesicherten Mittelfeld (Platz 9 in der Saison 79/80, Platz 10 in der Saison 80/81). Vom Aufstieg in die höchste Spielklasse, die Oberliga, konnten wir allerdings nur träumen. Gelegentliche nostalgische Behauptungen einiger Altvorderen, wonach man seinerzeit auf dem Sprung in die Oberliga gewesen sei, werden leider durch die harten Fakten der Abschlußtabellen in den Bereich der Fabel gerückt

Doch auch so ereilte den Verein nach der Saison 1980/81 ein jäher Absturz! Kommunikationsprobleme zwischen dem zu "Forschungszwecken" in Wien weilenden ersten Vorsitzenden Klaus B. und seinem Berliner Statthalter Uli W. führten dazu, daß der Rückmeldetermin zur folgenden Saison um wenige Tage verpasst wurde. Dies bedeutete den automatischen Ausschluß aus dem regulären Spielbetrieb !!! Der VFF konnte es sich seinerzeit noch erlauben, Vereine wegen derartiger Lappalien hart zu bestrafen. Der Verband war auf etwa 200 Vereine mit ca. 300 Mannschaften angewachsen, da kam es auf den einen oder anderen Verein nicht an ... ganz im Gegensatz zu heute, wo jeder säumige Verein mehrfach gebeten wird, sich doch zur nächsten Saison wieder anzumelden. (Der Bettelbrief von Bernd M., uns doch wenigstens wieder höher einzustufen, wurde seinerzeit per Brief von Manuel Ziebarth abgelehnt...)

So folgte das bitterste Jahr für Knallrot: Gemeinsam mit sechs anderen Vereinen (IFK Temnic, FC Yorck 80, Serhat GB, FC Wedding Türkgücü, SG Kreuzberg 72, FC Ayyildiz), die das gleiche Schicksal ereilt hatte, bildeten wir eine "Beschäftigungsrunde", in der wir gegen jedes Team mehrere Spiele bestritten. Eine Abschlußtabelle dieser traurigen Veranstaltung ist nicht überliefert.

Erstaunlicherweise blieb die Truppe auch in diesen schweren Zeiten beieinander ... ein Beweis für das enorme Zusammengehörigkeitsgefühl. Ohne den organisatorischen Einsatz von Klaus B. und Bernd M. wäre die Mannschaft aber sicher nicht so stabil geblieben. Und ohne viel psychologisches Fingerspitzengefühl sicher auch nicht, denn oft erforderte es vieler und langer Telefonate, um am Spieltag ein komplette Truppe aufbieten zu können ...

Neben den sportlichen und organisatorischen Wechselbädern waren es vor allem die politischen Debatten, die das Vereinsleben prägten. Der Verein hatte seinerzeit seine politische Herkunft nicht ... wie manch andere ... über Bord geworfen, sondern verstand sich weiterhin als politisch engagierte Truppe. Dies führte z.B. zu gemeinsamen Teilnahmen an diversen Demonstrationen oder auch zu freundschaftlichen Kontakten zu ähnlich gesinnten Vereinen wie z.B. dem FC Internationale. So war es kein Zufall, daß Anfang der 80er Jahre auch einige Spieler zu Hausbesetzern wurden ... so Bernd B. und andere aus dieser Szene zu uns stießen ... so Klaus H. . Diese mischten den Verein gehörig auf, brachten sie doch ein eher anarchistisches Verständnis von Vereinsleben in die schon etwas gesetzte Truppe! Und da wir seit einigen Jahren einen sehr national gesonnenen Unternehmer (!) in unseren Reihen hatten, ging es vor allem bei den "dritten Halbzeiten" oft hoch her. (Daß aus dem Hausbesetzer Klaus H. später selbst ein "Unternehmer" werden sollte, ahnte noch niemand...) Seinerzeit war es selbstverständlich, sich nach jedem Spiel - unabhängig vom Ergebnis - zum Bier zusammenzusetzen! Bei Heimspielen im Volkspark gingen wir natürlich ins Casino von Lazlo Gergely, bei Spielen im Stadion nicht in das uns Freizeitkickern damals noch unzugängliche BSV-Casino, sondern in die heute noch bestehende Eckkneipe vis-á-vis vom S-Bhf. Hohenzollerndamm, welche bei uns – in Anlehnung an die besonders ins Auge stechenden Eigenschaften der Wirtin – einfach "Bei Titten-Else" hieß. Die mit reichlich Bier und Schnaps gewürzten Debatten dauerten nicht selten viele Stunden und wurden zumeist recht lautstark geführt. So manche Freundin oder Ehefrau verfluchte jene Samstage, an denen der Freund bzw. Mann meist spät, immer aber stark "angeheitert" nach Hause kam. (Den Vogel schoß in dieser Hinsicht sicherlich jenes Vorstandsmitglied ab, das sich auf dem Heimweg einmal in einer Baugrube wieder fand – aber das war viel später, als es schon eine Alt-Herren-Mannschaft gab....)

Die politische Ausrichtung des Vereins bescherte uns ohnehin nicht nur Freunde. So manche bierselige Truppe aus Neukölln oder dem Wedding sah in uns linke Chaoten, denen man es zeigen müsse! Diese Spiele hatten wahrlich nicht immer freundschaftlichen Charakter! (Leider wurde seinerzeit auch so manches Spiel gegen eine ausländische Mannschaft wegen Überhärte und Tätlichkeiten abgebrochen.) Die Behörden waren ebenfalls "not amused": Als wir unsere gelegentlichen Fahrten nach "Wessiland" (Duisburg, Heidenheim, Treffelstein) wie alle anderen Berliner Vereine auch aus den prall gefüllten Fördertöpfen des "Ministeriums für innerdeutsche Angelegenheiten" subventionieren lassen wollten, verweigerte man uns dies zunächst mit Verweis auf die angebliche Nichtvereinbarkeit unseres Namens mit den Statuten von LSB und DFB. Auch führte die Verweigerung der sportlichen Förderungswürdigkeit zu Problemen mit dem Sportamt bei der Platzvergabe. So manches Heimspiel mußten wir auf dem gegnerischen Platz austragen, weil in Wilmersdorf angeblich alle Plätze belegt waren. Und da nur wenige ein Auto besaßen, erforderten die weiten Fahrten nach Zehlendorf, Spandau, Reinickendorf oder Neukölln logistische Planungen: Zumeist traf sich die ganze Truppe am U-Bhf Fehrbelliner Platz, von wo aus alle sich mit den wenigen PKWs auf die Reise machten. Oft mußten wir auch unsere Heimspiele "Im Jagen" austragen, einem schwarzen Ascheplatz im Grunewald, der eigentlich dem Post SV gehörte. Das einzig Angenehme daran war die wunderschöne Lage und die lauschige Kneipe, wo wir nach den Spielen oft noch lange unter Bäumen das Spiel analysierten. Das größte Problem war, den Platz überhaupt zu finden. Franz und Bernie benötigten einmal Stunden, um sich zu Fuß vom S-Bhf. Nikolassee durch den Wald zu schlagen. Als sie endlich aus dem Unterholz auftauchten, wurde da Spiel, welches wir mit 9 Mann bestritten hatten, auch bald abgepfiffen ... Es dauerte bis 1980, ehe wir unsere Ansprüche gegenüber den Behörden durchgesetzt hatten und wie ein "normaler" Verein behandelt wurden. Und noch viele Jahre mehr, ehe der Wilmersdorfer Sportamtsleiter sich zur Bemerkung "Knallrot Wilmersdorf? Süffiger Name!" hinreißen ließ ...

Von den organisatorischen Super-GAUs war schon die Rede. Aber es gab auch gut gemeinte Versuche, Ordnung in die Truppe zu bekommen. So arbeite Uli W. lange Nächte an einem komplizierten Plan, um die Frage der Ein- und Auswechslungen oder des Aussetzens gerechter und transparenter zu gestalten. Da wurden soziale Faktoren ("gibt öfter einen aus"), die individuelle Spielstärke ("trifft meistens den Ball"), die persönliche Zuverlässigkeit ("kommt pünktlich zu den Spielen") und die Häufigkeit des jeweiligen Spielverzichts in eine kybernetische Formel gegossen, aus der sich dann glasklar die jeweilige Mannschaftsaufstellung ergeben sollte. Das System hielt nach Ulis Erinnerung mehr als eine Saison und wurde erst durch dann einsetzenden akuten Spielermangel obsolet. (Wenn man so will, setzt das heutige Rotationsprinzip der "Ersten" jene Tradition fort – offenbar mit mehr Erfolg ...)

Oder das leidige Problem des Trikot-Waschens! Einige Experten flüchteten immer rechtzeitig nach dem Spiel oder hatten immer wieder neue Ausreden, um sich davor zu drücken. Andere hingegen schleppten so oft die Schmutzwäsche nach Hause, bis die Frau/Freundin sie mitsamt dem Koffer in den Waschsalon schickte. Die organisatorische "Lösung", den Trikotwäscher von der Spielgebühr (die anstelle eines Vereinsbeitrags eingeführt wurde und bezeichnenderweise "Waschgeld" genannt wurde) zu befreien, änderte daran auch nichts: die "Nicht-Wäscher" waren zumeist auch die "Nicht-Zahler" ...

Jener Spezies von Sportkameraden gelang es übrigens auch immer, nach ihren Geburtstagen für eine Zeitlang abzutauchen, um so der seinerzeit üblichen "Geburtstagsrunde" zu entgehen. Erst, wenn Gras über die Sache gewachsen war, ließen sie sich wieder blicken ...

Insgesamt aber konnten diese menschlichen Ärgernisse ebenso wenig wie die politischen Auseinandersetzungen die insgesamt positive Stimmung im Verein trüben. Beredtes Zeugnis davon waren die alljährlichen Weihnachtsfeiern, die damals noch eher scherzhaft auch als Jahreshauptversammlungen abgehalten wurden. Rechenschaftsberichte, Kassenprüfungen oder Vorstandswahlen fanden einfach nicht statt. Die alljährliche Erklärung des Vorsitzenden Klaus, seinen Posten niederzulegen, wurde durch Nichtzukenntnisnahme allmählich zum "running gag" jeder Weihnachtsfeier. Und jede Feier hatte ihre Helden, strahlende wie den mehrfachen Torschützenkönig Klaus H. oder den Dauerkegelmeister Wolfgang Sch., aber mitunter auch traurige wie den unterm Tisch liegenden Wolfgang H., den beim Kegeln verletzten Klaus B., den fremde Spielerfrauen begrabschenden J.L. und leider auch den von einem Bierglas blutigen Steffen R. Aber an keinem dieser Vorfälle brach die Truppe auseinander, sie rückt eher noch enger zusammen. Und auch die ab 1983 unternommenen gemeinsamen Fahrten nach Treffelstein (Oberpfalz) förderten den sozialen Zusammenhalt von Knallrot trotz sportlich-organisatorischer Katastrophen.

Aber in der Saison 82/83 hieß es für uns zunächst einmal, sich wieder ganz unten einzureihen! Ganz unten hieß in unserem Fall die Staffel 6 von 8 C-Klassen-Staffeln. Darüber gab es nun 4 B-Klassen- und 3 A-Klassen-Staffeln, eine zweigeteilte Stadtliga und eine ebenfalls zweigleisige Oberliga. Ein deprimierender Absturz aus der zweiten in die fünfte und unterste Spielklasse!

Und es sollte ein langer Weg zurück an die Spitze werden

Klaus Betz