Knallrot Logo Nummer 10

Es begann irgendwann Ende der 60er-Jahre, als die großen Schlachten der Studentenbewegung geschlagen waren und die Helden sich nach neuen Betätigungsfeldern umsahen. Eine bunte Truppe von FU-Studenten und Dozenten ... vorwiegend der Publizistik ... verabredete sich zum sonntäglichen Kick auf dem Hartplatz "am Lochowdamm", oben beim Freibad (heute Platz 4 des Stadions Wilmerdorf an der Fritz-Wildung-Straße), damals noch ein schwarzer Ascheplatz. Das geschah natürlich illegal, durch ein großes Loch im Zaun, wurde aber vom BSV 92 und vom Bezirksamt stillschweigend geduldet ("Besser, als wenn die auf dem Kudamm demonstrieren!"). Auf einem kleineren Platz nebenan (heute Platz 5), auf dem noch einige Grashalme wuchsen, der aber nur über kleine Tore verfügte, bolzte eine ebenso bunte Truppe von Schauspielern, Fernsehleuten, Filmemachern, Künstlern und Prominenten, darunter auch Harun Farocki, heute wieder gelegentlicher Freundschaftsspielgegner von "Tasmania Bühne und Sport". Gelegentlich kickte dort der heutige Innenminister Otto Schily mit, der seine fehlenden technischen Qualitäten durch überharten Einsatz zu kompensieren versuchte. Wenn die Teilnehmerzahlen zu gering waren, mischten sich die beiden Truppen auch mal und einmal kam es sogar dazu, daß wir gemeinsam mit den Künstlern ein Promi-Spiel in Kladow bestreiten durften, wobei auf Seiten der Promis u.a. Mario Adorf und Atze Gruner aktiv mitwirkten! Einige der von uns ironisch "Puppentruppe" genannten Künstler (z.B. der Filmemacher Klaus Volkenborn oder der Schriftsteller Horst Tomeyer) blieben bei uns hängen, da es auf dem Platz nebenan oftmals recht hart und lautstark zur Sache ging (hier zeichnete sich vor allem der inzwischen verstorbene SFB-Redakteur Rainer K.G. Ott aus). Die Mannschaften wurden jeweils von zwei selbsternannten Spielführern abwechselnd zusammengestellt, um einigermaßen gleichwertige Teams zu haben. Verletzungen, zumeist in Form von schmerzhaften Schürfwunden, waren bei dem steinigen Schotterplatz an der Tagesordnung. Zu den Duschen hatten wir als "Illegale" natürlich keinen Zugang, was uns aber nicht daran hinderte, anschließend noch oftmals bis in den nächsten Morgen hinein beim Doppelkopf zusammen zu hocken.

Der Verfasser stieß im Frühjahr 1970, gleich nach Aufnahme des Publizistikstudiums, dazu und brachte bald seinen Nachbarn, einen FU-Volkswirtschaftler, mit. Auch andere schleppten Freunde, Bekannte, Nachbarn an, so daß sich die Anzahl der Aktiven ständig erhöhte und beileibe nicht mehr nur "Akademiker" dabei waren. Gleichwohl kochten wir Sonntag für Sonntag im eigenen Saft, spielten also immer nur untereinander, ab und zu auch gegen die Künstler. Echte Abwechslung stellten nur gelegentliche Spiele gegen irgendwelche anderen bunten Truppen dar oder auch die Beteiligung an FU-Meisterschaften, wo wir einmal sogar den 3. Platz errangen. Bei diesen Gelegenheiten traten wir als "Roter Stern Hagenstraße" auf (wo, am Roseneck, sich das Publizistikinstitut befand). Das Trikot bestand dabei aus einem grauen T-Shirt mit aufgenähtem rotem Stern, beide litten nach häufigem Waschen erheblich ...

(Kleine Episode am Rande: Dieser Name half uns 1972 auf dem Rückweg von einer Exkursion der FU-Publizisten nach Stockholm, als wir die Fähre zu spät erreichten, die bereits ausgebucht war: Unser Leiter, Burkhard Hoffmann, behauptete einfach, wie seien der Fußballverein "Röde Star Berlin", der auf der Rückreise von einem Freundschaftsspiel bei Djurgardens IF sei. Die Angestellten der Reederei, selbst wohl Fußballfans und den Trick vielleicht auch durchschauend, verhalfen uns dann doch noch zu Plätzen auf der Fähre ...)

Irgendwie stieß eines Tages auch ein völlig anderer Typ zu uns: Wolfgang Kappes, ein Kölner Original, der zwar ein wenig akademisches Auftreten hatte, der aber ein lustiger Kerl und ein ausgezeichneter Stürmer war. Er hatte auch die bahnbrechende Idee: Die Gründung eines Verbandes für die ganzen wilden Truppen, die überall auf Plätzen, in Parks und auf Wiesen ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Kicken, nachgingen. Kappes kannte sich erstaunlich gut in dieser Szene aus und so gelang es ihm tatsächlich, im Mai 1973 in einer damals von ihm als Wirt neu gepachteten Kneipe in der Schöneberger Hauptstraße Vertreter von 32 wilden Teams, darunter auch vielen Kneipenmannschaften, zur Gründung des "Verbands für Freizeit-Fußball" zu vereinen. Natürlich wurde Wolfgang Kappes der erste Vorsitzende des VFF, Knallrot Wilmersdorf war somit Gründungsverein des Verbandes. Und das Jahr 1973 kann daher auch als Gründungsjahr des Vereins gelten.

Doch wie war es zu dieser Namenswahl überhaupt gekommen? Nun, als sich die Pläne von Kappes konkretisierten, wollten wir, der harte Kern von (mindestens acht) Publizisten (Bernd Meyer, Klaus Volkenborn, Herbert Bauermeister, Dieter Hirschfeld, Burkhard Hoffmann, Bernd Bucher, Hartmut Schmidt und der Verfasser) natürlich den Namen "Roter Stern Hagenstraße" behalten. Dagegen regte sich jedoch Widerstand der übrigen Aktiven, die sich darin nicht wiederfanden. Auch "Roter Stern Wilmersdorf" wurde als politisch zu einseitig verworfen. In der Not kam dann Rudi Kroll, der im Verdacht stand, ein "Jungliberaler", also ein FDP-Mann zu sein, auf den eher scherzhaft gemeinten Kompromißvorschlag, unsere Truppe "Knallrot Wilmersdorf" zu nennen, was alle irgendwie lustig und akzeptabel fanden. So wurde der Name dann mit etlichen Bierchen im BSV-Casino begossen.

(Andere fanden unseren Namen nicht so lustig, sondern argwöhnten ... natürlich völlig zu Unrecht! ... politische Absichten dahinter, was uns noch einige Probleme mit den Behörden bereiten solle, doch davon später mehr.) Immerhin verhalf uns unser ungewöhnlicher Name schon sehr früh zu einem Auftritt in einem ZDF-Sportmagazin. Leider suchte sich das ZDF für ihren Bericht über den Freizeitfußball in Berlin ausgerechnet ein Auswärtsspiel bei unserem Angstgegner "DT Rita" an der Bundesdruckerei aus (DT stand für "Drinking Team" ...), das wir prompt hoch verloren (ich glaube 0:6). Beim anschließenden Gelage in Kappes' Kneipe gelang es den Ritas ebenso locker, uns mit ihren Jubelliedern zu übertönen, so daß diese versoffene Truppe dann im Fernsehen mehr Raum einnahm als wir selbst ...

Unser erstes Trikot war übrigens nicht knallrot, sondern blau-weiß-längsgestreift, wie Hertha BSC, aus deren Fundus sie auch irgendwer ergattert hatte. Besonders originell war unser Wimpel, ein kleines rotes Trikot mit dem Namen des Vereins darauf. Dieses bei allen Gegnern sehr begehrte Souvenir (Damals tauschte man noch bei jedem Spiel Wimpel aus!) nähte uns die Mutter unseres damaligen Torwarts, Bodo Brandt, der später als Schiedsrichter noch eine Karriere bis in die 2. Bundesliga machen sollte...

In der ersten VFF-Saison spielten die 32 Vereine in zwei Staffeln den ersten Meister aus. Er hieß SG Meisterkrug und wurde vier mal hintereinander VFF-Champion. Diese Truppe bestand allerdings aus ehemaligen Profis bzw. Halb-Profis, die von einem Kneipenwirt zusammengekauft waren. Überhaupt waren wir wohl einer der wenigen Vereine im VFF, die ohne den Einsatz derartiger Ex-Profis auskamen, sondern ein reiner Freizeitverein waren (und bis heute geblieben sind). Auch traf die abfällige Einstufung als Kneipen- oder Thekenmannschaft auf uns nie zu, da wir zwar immer nach den Spielen die dritte Halbzeit in einer nahe gelegenen Kneipe zelebrierten ... die berühmten "Stiefel" waren dabei Pflicht ..., aber ein Vereinslokal gab es nie. (Was auch Nachteile hatte und bis heute hat hinsichtlich der Kommunikation und der Unterbringung unserer Trophäen ...). Wir waren für unsere Gegnern eigentlich immer eine irgendwie linke Studententruppe, obwohl das der realen Zusammensetzung schon gar nicht mehr entsprach, denn inzwischen waren auch mehrere Lehrlinge, Arbeiter und sogar Beamte hinzugekommen.

Trotz der spielerischen Nachteile gelang es uns in der ersten Saison immerhin, einen achtbaren 9. Platz (von 16 in unserer Staffel) zu belegen, wodurch wir allerdings knapp an der Qualifikation für die eingleisige erste Liga in der zweiten Saison scheiterten. Die ersten Jahre waren für den Verein jedenfalls sehr turbulent, denn zwar war die Studentenbewegung abgeflaut, doch kamen nun die Zeiten der heftigen Flügelkämpfe zwischen "Maos" und "Revis". Von diesen Konflikten blieb auch Knallrot nicht verschont und so ergab es sich, daß - nach heftigen Auseinandersetzungen - eine maoistische Gruppe sich abspaltete und für eine Saison als "Knallrot Wilmersdorf 2" den Spielbetrieb aufnahm, ehe sie sich aber noch vor Saisonende wieder auflöste, weil die Revolution sie zu sehr beanspruchte ...

Die Ära von Wolfgang Kappes, der neben seiner Funktion als 1. Vorsitzender des VFF zugleich das Amt des Vorsitzenden des Vereins innehatte (das ergab sich einfach so), neigte sich 1975 einen jähen Ende entgegen, als er eines Tages spurlos verschwand. Später wollte Bodo Brandt, der in Dreilinden beim ZOLL arbeitete (er sprach es als Ur-Berliner "SSOLL" aus) arbeitete und über dienstliche Drähte zu Polizei und Justiz verfügte, erfahren haben, daß Kappes irgendwie mit dem Gesetz in Kollison geraten sei. Wie dem auch sei, der VFF wählte sich eine neuen Vorsitzenden (Klaus Witt) und auch Knallrot mußte nachziehen. Und so fand eines Tages im Jahr des Herrn 1975, bei einer Rückfahrt von einem Auswärtsspiel in Wittenau, im Auto des Verfassers eine Beratung der drei Insassen statt. Das Ergebnis dieser - im Vergleich mit der nie stattgefundenen Wahl von Kappes - relativ demokratischen Wahl: Klaus Betz wurde Vorsitzender, Bernd Meyer Kassenwart und Geschäftsführer und der inzwischen (1974, bei einer Demo in Kreuzberg) zum Verein gestoßene Uli Wiethoff wurde Beisitzer und Zeugwart. Der VFF war inzwischen stark angewachsen, der Spielbetrieb wurde in vier Ligen mit insgesamt 6 Staffeln á  16 Mannschaften abgewickelt. Wir waren aufgrund der ständigen Neugründungen von oberen Ligen in die dritte Liga abgerutscht. Doch von 1975 an ging es wieder bergauf mit Knallrot ... aber davon ein andermal mehr ...

Klaus Betz